Ich an G-Sowieso

(Ein altes Textlein, das für mindestens haltbar entstand. Das Projekt ist mittlerweile eingestellt, der Server arbeitet nur noch schleppend bis gar nicht. Deswegen gibt’s das Textlein nun hier auf normal schnellem Server.)

An Flughäfen andächtig irgendwas lesen und das Drumherum ignorieren? Geht nicht. Denn an kaum einem anderen Ort der Welt kann man sich besser und ausgiebiger in Klischees und Vorurteilen suhlen.

Was scheinbar alle anderen können, versagt bei mir stets: Ich kann schlicht nicht inbrünstig an öffentlichen Plätzen lesen. An semi-öffentlichen übrigens auch nicht. Etwa im Wartebereich von Gate ‚G-Sowieso‘ oder ‚C-Dingenskirchen‘ von innerdeutschen Trips der Bushansa. Ich hab‘ natürlich immer ein Büchlein (wenn möglich auf Englisch) oder ein Magazin (lifestylig-ernstes in Minimal-Layout) oder ein Tagesblatt (Süddeutsche oder vergleichbares) vor mir, wenn ich an Flughäfen rumgammel, weil man unbedingt eine gewisse intellektuelle Gleichgültigkeit zur Schau stellen muss, sonst gilt man — zappzarapp — als Erstflieger, der hühnerig auf den Aufruf wartet. Und das geht mal gar nicht! Aber lesen geht auch nicht. Dazu ist die Gesellschaft in Wartebereichen häufig viel zu exklusiv. Beobachten. Einordnen. Klischees anlegen. Verhaltensmuster erkennen. Sich im besten Fall königlich amüsieren.

Da sind etwa nahezu immer kleinere Reisegruppen von Wannabe-Meistern-des-Universums: jungdynamischen Agenturler, die irgendwo eine agentürliche Powerpoint-Präsentation zu halten gedenken. Die haben nicht selten etwas von Hahnenkampf: laut, aufgesetztes Lachen, jeder überbietet den anderen im ‚gekonnt mit einer Hand in der Hosentasche des Trendanzugs Rumstehen‘. Den Gegenpart dazu bilden die alleinfliegenden frisch gebackenen Außendienstler kleinerer Betriebe. Die sind noch oft noch jünger (oder wahnsinnig viel älter) als die Agenturler, haben sicher einen exzellenten Inselbegabten-Uni-Abschluss, haben aber auch eine praktische wie hässliche Einmal-mit-Handtuch-rubbel-und-schon-trocken-Frisur, tragen gedeckt-farbige und schlecht sitzenden Einreiher, die durch die viel zu große und schwere Laptop-Tasche über der rechten Schulter noch mehr aus der Form gebracht werden. Dazu futtern sie mit einer beneidenswerten Gleichgültigkeit gegenüber der tropfenden Mayonnaise überteuerte Kiefersperr-Eierbaguettes aus Klarsichtfolien.

Ein bisschen ärgerlich sind die älteren Ingenieure in kurzärmeligen, karierten Hemden. Die sitzen tatsächlich häufig einfach nur rum und schauen Pläne an, während ihr Ticket gleichgültig aus der Brusttasche baumelt. Selbst, wenn eine Shopping-Reisende mit Freundin direkt neben ihnen durch Geraderücken der zierlichen Golduhr und Richten der dezent besträhnten Haare um Aufmerksamkeit buhlt. Übrigens sind die Shopping-Pärchen klischeemäßig tatsächlich häufig zusammengebaut aus einer wirklich gut aussehenden, in dezenten Farben gekleideten wie geschminkten Dame älterer Bauart und einer nicht ganz so gut aussehenden Schreckschraube gleichen Alters mit fisseligen, rot gefärbten Haaren und grellem Lippenstift — passend zur Blusenfarbe. Ich frag‘ mich immer, wie die Gutaussehenden an diese Freundinnen geraten. Sicherlich über gezielte Kontrast-Anzeigen.

Apropos Kontrast: Es gibt sie ja, auch bei innerdeutschen Kurzflügen der Bushansa, diese Erstflieger und Erstfliegerinnen. Erstflieger sind unspannend. Erstfliegerinnen hingegen umso mehr: Die balancieren entweder in übertrieben bequemen Klamotten ihr in Sporttaschen steckendes Reisegepäck auf dem Schoß oder staksen ungelenk auf stets leicht abgetragenen Stöckelschuhen und in deplatziert schicken Klamotten rum. Letzteres wahrscheinlich dank vorheriger Betrachtung von Hochglanz-Magazinen voll mit Abbildungen weltfraulicher Mode. Erkennen kann man sowohl die Bequem-, als auch die Staks-Erstflieger an den regelmäßigen nervösen Blicken auf die Anzeigetafel und auf die im Schutzumschlag (mit gelbem Druckknopf) geordneten Flugunterlagen. Und so weiter…

… kurz: Ich beobachte mit Hingabe. Meist in modischer Jeans, adrettem, leicht Körper-betonend geschnittenem Oberteil und sportlich schicken Tretern, schaue zuweilen in mein Blättchen und sonst eher genervt oder gelangweilt in die Runde. Das signalisiert dann idealerweise, dass mir Fliegen gleichermaßen vertraut wie lästig ist, dass ich unfassbar vielbeschäftigt bin, aber keinem Anzug- und Exceltabellenzwang unterliege und die wenigen Minuten Zwangsfreizeit nutzen möchte, um Literatur oder Weltgeschehen zu konsumieren. Sonst kommt man ja zu nix, hach…! Und weil das irgendwie bekannte Verhaltensmuster sind, um an Flughäfen mordsmäßig lässig zu wirken, breche ich das Ganze gerne mit völlig unsinnigen wie übertriebenen Handlungen: Haareschütteln, überraschendem, versonnenem Lächeln oder mit Auf-Stuhl-Extremzusammenfalten. Warum das? Weil es sicherlich in jedem Wartebereich auf jedem Flughafen dieser Welt mindestens noch einen Jemand gibt, der aus den gleichen Gründen genau so wenig dort lesen kann wie ich. Und dem gebe ich höchstens ein halbes Klischee. Vielleicht aber auch einen wissenden Blick — sollte ich ihn erkennen.